Empusion

Foto: Krafft Angerer
von Olga Tokarczuk
in einer Dramatisierung von Lucien Haug
Eine Koproduktion zwischen dem Lausitz Festival, Theater Basel und Schauspiel Köln, in Zusammenarbeit mit dem Staatstheater Cottbus
SCHAUSPIEL
Mit polnischen Übertiteln
Depot 2
Kölner Premiere der
deutschsprachigen Erstaufführung:
03. November 2024
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https://www.schauspiel.koeln Schauspiel Köln Schanzenstraße 6-20, 51063 Köln
Sa 23 Nov 20.00 - 22.00
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Görbersdorf umgibt ein schreckliches Geheimnis. In dem niederschlesischen Kurort, wo Heilmethoden entwickelt wurden, die Davos später Weltruhm einbrachten, trifft sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges eine Gruppe männlicher Patienten zu intellektuellen Spaziergängen in der Höhenluft. Während sich dieses Trüppchen, eine Art Tuberkulose-Stammtisch auf Testosteron, bei einem Gläschen Likör namens »Schwärmerei« über Thesen von Darwin, Freud und Nietzsche austauscht, kommt jedes Jahr im nahen Wald ein junger Mann ums Leben. Wer ist verantwortlich für die Morde im Dorf und im Wald? Und wieso schweigen die Dorfbewohnerinnen zu den Geschehnissen?

Angelehnt an Thomas Manns ZAUBERBERG, der vor 100 Jahren erschien, rollt die polnische Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk in ihrem Roman minutiös ein Panoptikum der Frauenverachtung aus. Getarnt als dörfische Kriminalgeschichte offenbart EMPUSION ein mystisches Schlachtfeld zwischen einer misogynen Männerwelt und den Empusen, den »Rachegeistinnen« einst ermordeter Hexen, die diese nun heimsuchen.
Inszenierung: Antú Romero Nunes
Bühne und Kostüme: Matthias Koch
Musik/Sound: Anna Bauer · Max Kühn
Licht: Matthias Koch · Michael Gööck
Dramaturgie: Michael Gmaj
ein Originalbeitrag aus dem Programmheft für das »LAUSITZ FESTIVAL«

Ausrangierte Männer auf Kur

von Michael Gmaj
»Empusion« ist eine Wortschöpfung aus »Empusa«, einer Bezeichnung für ein weibliches Schreckgespenst, und »Symposion«, dem Wort für ein Trinkgelage im antiken Griechenland, in dem das philosophische Gespräch im Mittelpunkt stand. »Empusion« könnte man also als Trinkgelage weiblicher Spukgestalten verstehen. Doch in Olga Tokarczuks Roman sprechen nicht Frauen oder Gespenster miteinander, sondern Männer, die sich zu einem Sanatoriumsaufenthalt im schlesischen Görbersdorf zusammengefunden haben. In der Erzählung sind Frauen zunächst nur Randgestalten, über die schlecht gesprochen wird. Nach und nach wird deutlich, dass die »Empusen « oder »Tuntschis« – selbst unsichtbar – die Männer fortwährend beobachten und uns über sie berichten. Die »Empusa« taucht in der antiken Literatur erstmals in Aristophanes’ »Die Frösche« auf. Dort begegnen der Gott Dionysos und sein Diener Xanthias einem solchen Wesen: Anscheinend ist es eine »Sie«, die ein feuriges Antlitz besitzt, ein Bein aus Erz hat und ein anderes bestehend aus Kuh- oder Eselsmist. »Tuntschis« wiederum waren ursprünglich aus Stroh oder Holz erstellte Puppen, die von manchen Sennen oder Köhlern gefertigt wurden, um sich während ihrer langen Aufenthalte auf der Alp oder in den Wäldern daran zu befriedigen. In einer alten Schweizer Sage erwacht ein solches »Sennentuntschi« zum Leben, wird zu einer lebendigen Frau und verfolgt die Männer, die sich an ihr vergangen haben. In den Wäldern um Görbersdorf haben Köhler gearbeitet, und auch ihre »Tuntschis« findet man noch heute: Es sind geschnitzte Baumstämme, die mit Ästen und Moos ausgestattet wurden, um den weiblichen Körper darzustellen. Und diese »Tuntschis« erzählen nun, kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, von misogynen Männern auf Kur – in einem der ersten modernen Kurorte für Tuberkulose-Kranke überhaupt. Für die Inszenierung hat sich Regisseur Antú Romero Nunes dazu entschieden, alle männlichen Figuren mit weiblichen Spielerinnen zu besetzen. So wie im Roman die »Empusen« über Männer erzählen, spielen hier Frauen misogyne Männer. Es heißt einmal im Roman:
»Nun, zuweilen, wenn wir uns mit Frauen unterhalten, können wir den Eindruck gewinnen, als gäben sievernünftige Antworten, als dächten sie so wie wir. Doch ist das eine Illusion. Sie imitieren, sie imitieren unsere Art des Gesprächs, und manche von ihnen, das muss man zugestehen, haben es recht weit darin gebracht.«
Die Spielerinnen stellen die altertümliche frauenfeindliche Vorstellung auf den Kopf und imitieren tatsächlich den ganzen Abend Männer: mal kunstvoll, mal derb, oft humorvoll, ernsthaft und manchmal berauschend. Vielleicht sind sie auch eine Gruppe weiblicher Schreckgestalten, die in ein Spiel des Männlichen verfallen, und so eine Geschichte über die Abgründe von Männlichkeit und des Patriarchats erzählen. Was diese Männer über Frauen zu sagen haben, erzählt mehr etwas über sie selbst.
Es sind schwache, für das Militär erzogene Männer, die 1913 entweder krank oder untauglich sind. Zur Kur gehen sie auch, weil die Vorkriegsgesellschaft solchen Männern keinen Platz mehr bietet. Denker, Schwafler oder Künstler landen auf dem Abstellgleis. August August wird beispielsweise von seiner Schwester, Longinus Lukas von der Tochter nach Görbersdorf geschickt, und beide Frauen finanzieren den Aufenthalt ihres Bruders oder Vaters auch noch selbst. Die misogynen Ansichten im Roman EMPUSION zum Thema der Frauen und ihrem Stand in der Welt sind allesamt Paraphrasen männlicher Autoren der letzten Jahrhunderte. Darunter finden sich Aussagen von Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche, Richard Wagner, Frank Wedekind oder Arthur Schopenhauer. Olga Tokarczuk verwebt ihre Zitate zu einer Art feministischer Volte und rückt damit auch aktuelle frauenfeindliche Politik bestimmter europäischer Parteien ins Licht. Der Roman erschien 2022 in Polen. 2020 setzte das polnische Verfassungsgericht unter der damals regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein praktisches Abtreibungsverbot durch. Aus Angst vor Repressionen weigern sich Ärzt*innen seitdem oft, Abtreibungen vorzunehmen. Noch heute ist es dem polnischen Parlament nicht gelungen, dieses Gesetz abzuschaffen. In Deutschland schreibt die AfD in ihrem Europawahlprogramm 2024:
»Abtreibungen müssen zur Ausnahme werden […] Jeder Mensch ist ab Befruchtung ein Mensch. Daher muss Abtreibung die absolute Ausnahme werden, z.B. aufgrund von kriminologischen oder medizinischen Indikationen.«
In dem genannten Abschnitt steht nichts zum Körper der Frau oder zu ihren Rechten. Nach Ansicht von AfD-Politiker*innen soll der weibliche Körper unter staatliche Kontrolle gestellt werden.
Das »neue Leben« wird damit wieder stärker gewichtet als das Leben der schwangeren Frau – ein überkommenes Verständnis, das von stark religiös oder nationalistisch geprägten Gesellschaften eingefordert wurde. Ihren Machthabern war daran gelegen, Soldaten zu schaffen, das heißt Geburtenraten zu erhöhen, um langfristig als Nationen wehrfähig zu bleiben. Tokarczuks Erzählung führt diese Ideen ad absurdum.
Denn in EMPUSION ist der Protagonist ein Hermaphrodit – ein Mensch mit zwei Geschlechtern. Mieczysław Wojnicz ist weder für die Männer rings um ihn greifbar noch für die weiblichen Spukgestalten aus den Wäldern. Er ist ein Wesen, das dazwischen steht und sich mit den Begriffen des angehenden 20. Jahrhunderts nicht fassen lässt. Ein Zufall der Natur, der sich Kategorisierungen und einfacher Einteilungen unserer Gesellschaft widersetzt. Vielleicht ist die »Empusa«, die so viele Gesichter oder Formen in einem einzelnen Körper vereinen kann, deshalb die titelgebende Gestalt.
Nun sind wir auf dem Theater, dem Raum des Spiels und der Fantasie. Im Zentrum von Antú Romero Nunes’ Theaterverständnis stehen immer die Spieler*innen, ihre Lust am Spiel und ihre Fantasie. Mit einfachsten Mitteln erschaffen sie ganze Welten auf der Bühne. Männer spielende Frauen sind etwas, was es in der Theatertradition lange nicht gab, da es Frauen über Jahrhunderte verboten war, auf einer Bühne zu stehen. Doch seit die berühmte französische Schauspielerin Sarah Bernhardt 1899 in Paris den Hamlet gegeben hat, sind Frauen in Hosenrollen im Theater nichts Ungewöhnliches mehr. Schaut man allerdings die ersten simplen Filmaufnahmen an, hat sich Bernhardt dabei wohl eher wenig mit männlichen Eigenarten oder Machismo beschäftigt. Mit damals 55 Jahren spielte sie einen jungenhaften, schon fast kindlichen Prinzen. Sie beschäftigte sich zurecht mehr mit seinem jugendlichen Übermut als mit seinem Geschlecht.
Doch auch sie musste sich damals von Kritikern anhören, dass es einer Frau gar nicht möglich sei, Kunst zu schaffen:
»Die Fähigkeit, Ideen zu konzipieren und umzusetzen, ist ein Attribut der Männlichkeit; Sofern Frauen überhaupt Kunst betreiben, ahmen sie die Männlichkeit nach und überschreiten ihre natürlichen Grenzen. Nirgendwo erkennt man das Versagen der Frau in der Kunst so gut, wie wenn sie auf der Bühne Männer verkörpert.«
Gegen diese misogynen Ansichten bildete sich Widerstand. Entstanden aus kurzen Auftritten in Vaudeville-Shows oder im Kabarett verschob sich die lustvolle und überzogene Bühnendarstellung des »Männlichen« in den 1950er und 1960er-Jahren Jahren in die queere Subkultur. Das Verkleiden als Person eines anderen Geschlechts war zum Beispiel in den USA bis in die 1970er-Jahre verboten und wurde gesellschaftlich geächtet. So entwickelte sich die Kunst der »Drag Kings« zu einer Protestform. Der Akt will, ähnlich wie die Darbietungen von »Drag Queens«, viel stärker soziale männliche Normen befragen, und wurde und wird von Frauen genutzt, um männliche Verhaltensweisen spielerisch für sich zu beanspruchen. Seit Ende der 1980er-Jahre ist die Bewegung vor allem im angelsächsischen Raum groß geworden. Performerinnen schufen männliche Alter Egos für ihre Bühnenauftritte, mit denen sie ein Verhalten pointiert zur Schau stellten, was ihnen als Frauen gesellschaftlich verboten war oder nicht zugestanden wurde. Der spielerische Akt bei dem Männlichkeit einfach an- und abgelegt werden kann, zeigt wie fragil die Konstruktion dieser männlichen Alter Egos ist. Er führt uns vor, wie leicht »männlichen« Gebärden, die in der Gesellschaft seit eh und je für Stärke und Dominanz stehen, ihre Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit entzogen werden kann. Als Männer verkleidete Frauen, die sich über misogyne Themen auslassen, das ist nicht nur unterhaltsam und grotesk, es zeigt uns auch, wo sich der perfekte Nährboden für diese Art von Wut und Missgunst bildet: unter den Erniedrigten, Beleidigten und Abgehängten.

Gewerke
Statisterie: Flora Leu Wermser · Übertitel: Maike Pawlik / Gosia (Margerete) Kluger · Regieassistenz: Lidia Polito · Bühnenbildassistenz: Elena Dörnemann · Inspizienz: Charlotte Bischoff · Soufflage: Claudia Kron · Bühnentechnik: Niko Moddenborg · Beleuchtungseinrichtung: Manfred Breuer, Frédéric Dériaz · Tontechnik: Holger Brochhaus, Julia Spang · Produktionsleitung: Oliver Haas, Petra Möhle · Stellvertr. Ltg. Werkstätten: Ilya Pfaller · Ankleider*innen: Christiane Reinkober, Kathi Schlax, Moez Ben Brahim, Veronika Schröder-Hohenwarth, Philipp Ebert, Ina Pütz, Annika Engels · Maskenbild: Denise Ecker, Katya Schmidt · Requisite / Effekte: Kaja Manenbach
PRESSESTIMMEN
»Ein entspannter, launiger Abend zum langen Abschied vom Patriarchat.«
nachtkritik.de
»Der Abend ist so klug, die Zuschauer zum Denken anregen, es ihnen aber nicht abnehmen zu wollen.«
welt
»Der zweistündige Abend ist ein Fest der Schauspielerinnenkunst.«
KÖLNER STADT-ANZEIGER
»Es ist wirklich grandios«
DLF-Kultur Heute
»Selten war fragile Männlichkeit so komisch.«
KÖLNER STADT-ANZEIGER
»Im Lauf von zwei Stunden Theaterspiel wird dieses Stück immer stärker«
DLF-Kultur Heute
»Der Besuch in Görbersdorf ist rundum zu empfehlen.«
KÖLNER STADT-ANZEIGER
»Ein großartiger Theaterabend ist diese ›Empusion‹ allemal.«
KÖLNISCHE RUNDSCHAU